Die letzten Tage ging es in netzpolitischen Kreisen hoch her, denn heute wurde wieder über die Chatkontrolle abgestimmt. Glücklicherweise ist sie auch dieses Mal gescheitert. Aber damit ist sie leider noch nicht vom Tisch. Und egal wie viele Bürgerrechtler sagen, dass sie eine schlechte Idee ist, egal wie viele Rechtsgutachten sagen, dass sie nicht mit unseren Grundrechten vereinbar ist, sie will einfach nicht sterben.
Ziemlich geärgert hat mich deswegen dieser Kommentar auf tagesschau.de. Die Autorin ist geradezu enttäuscht darüber, dass die Chatkontrolle gescheitert ist, sieht Deutschland in der Schuld (letzteres ist immerhin wahr) und regt sich über die „Datenschutz-Lobby“ auf, weil die schon wieder verhindert haben, dass man dieses ach so wichtige Instrument zum Schutz der Kinder schon wieder abgelehnt hat.
Dazu habe ich einige Dinge zu sagen:
Erstens: Die Chatkontrolle, selbst wenn sie eingeführt wird, ist kein wirksames Mittel gegen Kindesmissbrauch. Bestenfalls wird sie ein leicht umgehbares Mittel um den Austausch von Missbrauchsbildern zu verringern.
Zweitens: Die Autorin argumentiert, dass der Kinderschutz in Deutschland schwinde, „Während sich zuletzt in Deutschland die Zahl der gefundenen Missbrauchsbilder verzehnfacht hat“. Oh. Die Zahl der gefundenen Missbrauchsbilder hat sich verzehnfacht? Vielleicht bedeutet das ja, dass wir die Chatkontrolle nicht brauchen, weil wir ohnehin schon viel besser darin werden, Missbräuche aufzudecken?
Drittens: Es wird natürlich wieder auf dem Datenschutz herumgehackt. Wie schwierig der doch alles mache. Vielleicht liegt das ja am Namen. „Datenschutz“ – das klingt so, als ob man Daten schützt. Warum haben Daten mehr Rechte als Kinder? Tatsächlich aber schützt man Menschen mit dem Datenschutz. Kinder. Erwachsene. Alle. Auf dem letzten Camp gab es dazu auch einen schönen Vortrag.
Viertens: Geht es um staatliche Kontrollmaßnahmen und Verhältnismäßigkeit. Möchten wir wirklich auf jedem Endgerät Spyware haben? Hunderte Millionen Menschen werden damit unter Generalverdacht gestellt. Mal andersherum: Wenn China oder Russland jetzt anfangen würden, so etwas einzuführen: würde dann nicht die ganze westliche Welt aufschreien, wie unterdrückerisch diese Staaten sind, und dass diese Maßnahmen nur ein Vorwand seien, um die Bevölkerung zu überwachen?
Ich traue unserem Staat weitaus mehr als manch einem anderen Staat, aber auch unsere Geheimdienste haben sich in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Es gab Nazis in der Polizei, die Polizeidatenbanken genutzt haben, um Drohbriefe zu verschicken. Wollen wir da wirklich noch ein weiteres, für den ursprünglichen Zweck nutzloses Überwachungstool aufbauen, dass wunderbares Missbrauchspotential hat? Und was passiert, wenn die AfD es schaffen sollte, im Bundestag Mehrheiten zu bekommen? Wollen wir diesen Nazis wirklich eine solche Waffe in die Hände drücken? Und was ist mit Staaten wie Ungarn, die unter Orbán deutlich sichtbar Demokratieabbau betreibt?
Es gibt so viele gute Argumente gegen die Chatkontrolle, und nur sehr wenige gute Argumente dafür. Ich hätte in den letzten zwei Jahren vielleicht einfach die ganzen Artikel sammeln sollen, die ich darüber gelesen habe, aber das habe ich nicht, und jetzt kann ich sie nicht verlinken. Daher verweise ich einfach auf netzpolitik.org, diese Infoseite von CCC, Digitalcourage und anderen sowie auf diese Infoseite von Patrick Breyer.
Update 2024-06-27
Gerade eben habe ich diesen Artikel gefunden, die die Argumente in dem Tagesschau-Kommentar gründlich auseinandernimmt.