Gestern habe ich mit einer Freundin, die ich nur selten sehe, Silvester gefeiert. Für die Rückfahrt heute (Neujahr) wollte ich Regionalbahnen und Regionalexpresse nehmen. Da dies der erste Tag des Monats ist, und ein Ticket für die einzelne Fahr nur unwesentlich weniger als die 49€ für das Deutschlandticket waren, dachte ich mir, ich könnte mir mal schnell das Deutschlandticket besorgen. „Mal schnell“ war nicht. Es war ein langer, schmerzhafter Prozess.
Nun bin ich ja eigentlich ein Fan des Deutschlandtickets. Ich habe das alte Deutschlandticket, das 9€-Ticket ein paar Mal benutzt. das 49€-Ticket habe ich aber kaum genutzt, da ich 2023 fast komplett in den Niederlanden lebte. Trotzdem: ein Schritt in die richtige Richtung. Ein niederschwelliges Ticket, um überall hinzufahren ohne sich Sorge um Tarifbereiche und das Abstempeln von Fahrkarten machen zu müssen.
Nur das mit der „Niederschwelligkeit“ ist nicht so wirklich angekommen. Man kann das Ticket nämlich im Gegensatz zu dem 9€-Ticket nämlich nicht mehr am Automaten kaufen. Nein, man muss ein Abo abschließen. Selbst wenn man das Abo direkt im Anschluss kündigt, weil man nur ein Ticket für einen Monat will. Im Prinzip lassen sich alle Probleme, die ich mit dem Kauf den 49€-Tickets hatte, auf dieses Abomodell zurückführen. Aber fangen wir vorne an:
Erster Versuch: VRR
Als erstes bin ich zum Verkehrsberbund Rhein-Ruhr (VRR) gegangen. Der VRR ist quasi der Überverband im Ruhrgebiet und Umgebung, darunter stehen einzelne Verkehrsbetriebe.
Dort kann man das Deutschlandticket über die App kaufen. Die App kann ich nicht installieren, weil ich den Google Playstore nicht auf meinem Handy habe (und nicht haben will, weil man den nicht kriegt, ohne den ganzen anderen Google-Krams auch mitzuinstallieren). Über die Website kaufen? Fehlanzeige. Es soll ja auch so etwas wie Progressive Web Apps (PWA) geben, aber nein, der VRR hat eine native App (bzw. zwei, eine für Android und eine für iOS), und ohne die App kein Deutschlandticket.
Obwohl, das stimmt nicht ganz: Man kann auch ein Formular ausdrucken, damit persönlich beim VRR aufkreuzen und damit ein Abo beantragen. Scheitert bei mir an einem Mangel an Drucker, aber auch daran, dass am Wittener Hauptbahnhof keine VRR-Leute sind, die das Formular entgegennehmen können.
Zweiter Versuch: Deutsche Bahn
Probieren wir es doch bei meinem Lieblingssaftladen, der deutschen Bahn (die mich übrigens auf der Rückfahrt vom Congress 57 Minuten zu spät hat ankommen lassen, also genau 3 Minuten zu wenig, um eine Entschädigung zu bekommen).
Dort kann man das Abo natürlich auch über die App abschließen. Die ich natürlich ebensowenig installieren kann wie die des VRR. Außerdem hat diese App schon öfters schlechte Presse bezüglich des Datenschutzes bekommen.
Aber wenigstens kann man bei der Bahn das Abo auch über die Website abschließen. Nur will die Bahn eine Sicherheit, dass ich auch wirklich ich bin. Per Vorkasse zahlen kann ich nicht, denn das ist ja ein Abo. Natürlich will ich kein Abo, ich will das Ticket erst einmal nur für einen Monat. Aber man kriegt das Ticket nur über das Abo, auch wenn ich es direkt im Anschluss kündige.
Um diese Identitätsbestätigung zu bekommen, bietet die Bahn verschiedene Verfahren an. Eins davon ist, einem Drittanbieter die Logindaten und eine TAN für mein Bankkonto zu geben. Danke, kein Interesse. Das andere beinhaltet, meinen Perso in meine Laptop-Kamera zu halten. Auch nicht schön, aber was soll's. Also zu Verimi. Dort muss ich zunächst dieselbe Mailadresse angeben, die ich auch bei der Bahn angegeben habe. Die Bahn kommt mit dieser Adresse auch problemlost klar und hat mir zum Beispiel auf der Hinfahrt zum Congress nicht weniger als sechs Mails geschickt, dass mein Zug Verspätung hat.
Verimi hingegen kommt mit der Mailadresse nicht klar. Natürlich wegen des Pluszeichens so ähnlich wie die Telekom. Um es zu wiederholen: Ein Pluszeichen im lokalen Teil der E-Mail-Adresse ist (abhängig vom Mailprovider) absolut gültig. Den Support von Verimi konnte ich auch nicht erreichen, denn das Kontaktformular verlangt auch eine E-Mail-Adresse, und dort wird das Pluszeichen natürlich auch nicht akzeptiert.
Dritter Versuch: deutschlandticket.de
Das Schöne am Deutschlandticket ist ja, dass jeder Verkehrsverbund es verkauft. Also habe ich eine kleine Websuche gemacht um herauszufinden, wo man es noch kaufen kann (bei dieser Suche bin ich auch auch diesen grandiosen Typografie-Fail gestoßen).
Meine Suche ergab zunächst deutschlandticket.de. Sah am Anfang auch vielversprechend aus. Keine App verlangt, meine Mailadresse wird akzeptiert, ich tippe meine IBAN für die Lastschrift ein, klicke auf „Jetzt kostenpflichtig bestellen“ und…
Ach ne, die Seite lädt nach dem Klick neu, sie ist jetzt leer bis auf den Button „Jetzt kostenpflichtig bestellen“. Noch einmal draufgeklickt. Jetzt beschwert er sich über ungültige Kreditkartendaten, obwohl ich ja Lastschrift ausgewählt habe.
Der Support antwortet auch innerhalb von wenigen Stunden (an einem Sonntag), hat aber nicht mehr zu sagen als „probier es noch einmal“. Funktioniert natürlich nicht.
Vierter Versuch: HVV
Ich wohnte ja jahrelang in Hamburg. Vielleicht kann mit der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) helfen. Aber natürlich nicht. Auch hier wieder: Entweder per App, oder per Chipkarte, aber die muss natürlich erst geliefert werden, dafür habe ich nicht die Zeit.
Fünfter Versuch: KVB
So langsam werde ich verzweifelt. Ok, probieren wir mal die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Hier zeigt sich ein neues Problem: Bei allen bisherigen Anbietern konnte ich den Startpunkt des Abos vernünftig wählen, also für den aktuellen Monat (zu diesem Zeitpunkt noch Dezember) und die darauffolgenden paar Monate, in meinem Fall wäre das Januar gewesen.
Beim KVB sieht die Sache anders aus: Dort kann man als Startzeitpunkt nur den übernächsten Monat wählen. Wenn man ein Ticket für den aktuellen Monat braucht, ist man komplett raus. Wenn man ein Ticket für den nächsten Monat braucht (so wie ich(, sollte man das bis zum 20. des Monats bestellen. Vermutlich ist der Server einfach zu langsam, um eine Ticketbestellung in weniger als 11 Tagen zu verarbeiten. Also auch hier: Kein Ticket für mich.
Sechster Versuch: VRM
Mittlerweile war ich bei der Freundin angekommen. Die schlug mir vor, es bei ihrem regionalen Verkehrsverbund Rhein-Mosel (VRM) zu versuchen (nicht zu verwelchseln mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund, dem RMV).
Hier brauchte man auch wieder eine App. Außerdem:
Das SEPA-Lastschriftverfahren kann bei einem Kauf des D-Tickets über die VRM-App leider nicht mehr angeboten werden.
Hätte also eh nicht funktioniert. Da ich mittlerweile unterwegs war, waren Lastschrift, Bargeld oder Girocard die einzigen Zahlarten, die mir zu Verfügung standen. Und die letzten beiden wollten die ja sowieso nicht, weil die nicht für ein Abo funktionieren.
Siebter Versuch: BGV
So langsam greife ich nach jedem Strohhalm, also warum nicht die Berliner Verkehrsbetriebe, aka Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG)?
Ich kann euch sagen warum: Selbes Problem wie in Köln, ich kann das Ticket frühestens ab Februar bestellen.
Achter Versuch: Ruhrbahn
Aber wozu in die Ferne schweifen? Was ist mit der Essener Verkehrs-AG (EVAG) aus meiner Heimatstadt? Ach ja, die gibt es ja nicht mehr, die haben sich mit den Nachbarn aus Mülheim zusammengeschlossen und sind jetzt Ruhrbahn.
Aber auch hier: Fehlanzeige. Genau wie Verimi wollen die meine E-Mail-Adresse nicht.
Neunter Versuch: Bogestra
Was kenne ich noch? Ach ja, die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen-AG (Bogestra). Und siehe da: Hier geht es endlich! Einfach einen Account erstellen, meine Lastschriftdaten angeben und – voilà: ein Deutschlandticket für Januar.
Die Kündigung war ein bisschen holprig, aber hat auch funktioniert. Warum bin ich erst so spät darauf gekommen? Naja, Bogestra und Ruhrbahn sind Teil des VRR, bei dem es ja schon nicht funktioniert hat. Wie kann ich dann erwarten, dass es bei den Mitgliedern des VRR funktioniert? Es funktioniert aber.
Fazit
Ich entwickle echt eine posttraumatische Belasttungsstörung durch Onlineshops und dergleichen. Ich kriege flashbacks jedes Mal, wenn ich an mein Deutschlandticket denke. Ich traue mich kaum noch, irgendwo online irgendwas zu kaufen, weil ich jedes Mal in Gefahr laufe, meinen Kopf so lange gegen eine Tür zu hauen, dass mich selbst meine Mutter nicht mehr wiedererkennen würde.
Was für ein Kontrast zum 37C3. Dort ging alles schnell und größtenteils unbürokratisch. Ich bestelle ein Ticket. Keine nutzlosen Cookiebanner, keine „ich stimme zu, dass ich zukünftig nervige Werbemails bekomme“, kein Solvenzcheck (ich gehe in Vorkasse mit den Tickets, wenn ich sie nicht innerhalb einer Woche bezahle, verfallen sie), kein Bullshit, keine schlechten Mailvalidierungen…
Aber mal Ernst: So kann die Verkehrswende nicht funktionieren. Wenn ich aufführen muss wie ein dressierter Delfin, der durch Ringe springen muss, um seinen Fisch zu erhalten, nur um für einen Monat ein günstiges Nahverkehrsticket zu bekommen, dann läuft irgendwo etwas gründlich falsch.