Es ist jetzt über zwei Wochen her, nachdem Joe Biden von den US-Medien zum Sieger der Wahl erklärt wurde. Dass in den USA die Medien das machen, ist wohl so üblich, selbst wenn das offizielle Ergebnis noch auf sich warten lässt. Offiziell ist das noch nicht, aber anscheinend wichtig, damit, sollte sich der Präsident ändern, schon mit einer ordentlichen Übergabe begonnen werden kann.
Üblicherweise geht das auch mit einem Eingeständnis der Niederlage des Verlierers einher. Im Fall Donald Trumps und seiner Anhänger jedoch nicht. Schon Im Wahlkampf machte er mit falschen Behauptungen Stimmung gegen Briefwahl. Nach der Wahl, noch bevor ein Sieger feststand, behauptete er, dass er gewonnen habe und es massiven Wahlbetrug gegeben habe.
Mittlerweile hat er eine ganze Sammlung von Falschbehauptungen aufgebaut. Alle widerlegt. Seine Verbündeten, wie zum Beispiel dieser Guiliani, machen dasselbe.
Ich kann nicht mit Worten beschreiben, wie absurd ich das finde. Der Präsident einer der größten Demokratischen Länder der Welt, schürt massiv Misstrauen in das eigene politische System. Nicht dass er damit für diese Wahl noch etwas gewinnen könnte. Bisher gibt es keine Anhaltpunkte für groß angelegten Wahlbetrug. Gut, es gibt ein paar Pannen. Das passiert, das ist schlecht, aber diese Pannen wurden auch ohne Zutun der Tump-Junta erkannt und behoben.
Um es noch einmal zu bestärken: Sowohl die election officials aller US-Staaten, als auch ein ganzer Haufen für Wahl- und IT-Sicherheit zuständiger Leute bestätigen, dass es keine Anzeichen für einen großangelegten Wahlbetrug gebe und die Wahl „the most secure in American history“ war.
Was soll also dieser Zirkus? Trump hat es ja noch nie so genau mit der Wahrheit (oder der Realität) genommen, aber warum zur Hölle reitet er dieses tote Pferd immer weiter? Meine Vermutung ist, dass er einfach glaubt, die Lüge nur oft genug vehement wiederholen zu müssen, damit sie geglaubt wird. Das ist schon ein fast Orwellsches Niveau der Realitätsleugnung. Glücklicherweise gibt es bei Trump immer noch genug Leute, die widersprechen. Insofern funktioniert die amerikanische Gesellschaft also noch.
Trump feuert natürlich gerne Leute, die ihm widersprechen, wie zum Beispiel den Chef seiner Cybersicherheitsabteilung (im Ernst? Das Ding hat tatsächlich „cyber“ im Namen?). Die Medien kann er nicht feuern, also macht er ganz stark Stimmung gegen sie. So wie in den letzten fünf Jahren schon.
Trump untergräbt also das Vertrauen in die demokratischen Institutionen des Landes, insbesondere den Kern davon: die Wahl. Und genug Leute glauben ihm. Und da Trumps Wähler potentiell eher die sind, die auf ihrem Recht, eine Waffe tragen zu dürfen, bestehen, kann das durchaus gefährlich sein. Aber selbst wenn es nicht zu Gewalttaten kommt, so ist es doch extrem schlecht für die Gesellschaft, wenn einen nennenswerter Anteil glaubt, die Regierung und sei durch Wahlbetrug an die Macht gekommen. Damit wäre sie ja nicht legitim, und man müsste sie behindern, was auch immer sie macht.
Die ganze Geschichte ist auf so vielen Ebenen problematisch, dass ich das nicht ganz in meinen Kopf reinkriege, geschweige denn einen verständlichen Text darüber schreiben kann. Ich bin Informatiker, gebt mit Zahlen, gebt mir Algorithmen, ich mache was damit. Ich bin kein Psychologe, kein Soziologe, kein Philosoph, kein Jurist. Ich kann das alles nicht verstehen.
Es wird schwierig für Biden
Aber eine Sache meine ich zu verstehen: Biden wird es sehr schwer haben. Er hat schon mehrmals versöhnliche Töne angeschlagen, er wolle ein Präsident aller US-Amerikaner sein.
Aber was er zu Beginn seiner Amtszeit vorfinden wird, ist verbrannte Erde. Angefangen damit, dass ein großer Haufen Leute nicht glauben wird, dass er der legitime Präsident ist. Fast hätte Trump noch einen kleinen Irankrieg angefangen. Seine Administration weigert sich, Biden Zugang zu Informationen zur Corona-Krise zu geben, ohne selbst noch besonders viel zu tun. Das macht es wiederum für Biden schwerer, einen guten Plan aufzubauen.
All das wird am Ende auf Biden zurückfallen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird es seine Schuld sein, wenn die Pandemie schlimmer wird. Wenn die Wirtschaft weiter Probleme bekommt. Wenn härtere Maßnahmen vorgenommen werden, wo weniger harte gereicht hätten, wenn sie früher durchgeführt worden wären. Wenn die Uneinigkeit in den USA wächst.
Meine Hypothese: Auch Biden wird keine zweite Amtszeit bekommen.
Godwin's law
Wenn ich mich mit diesem Thema beschäftige, werde ich immer wieder Opfer von Godwin's law. Ihr wisst schon: Früher oder später wird es in einer online-Diskussion einen Nazi-Vergleich geben, und die Seite, die den Nazivergleich macht, hat damit automatisch verloren.
Und trotzdem komme ich nicht umhin, viele Sachen zu sehen, die man bei den Nazis auch beobachten konnte (Glücklicherweise aber auch einiges, was es damals nicht gab und was die Nazis damals vielleicht verhindert hätte). Hier nur ein paar Beispiele:
- Donald Trump junior fordert den totalen Krieg
- Parallelen zur Dolchstoßlegende kommen auf, wenn man betrachtet, wie Trump seiner Niederlage leugnet
- Donald Trump bezeichnet Biden als Sozialisten. Klar, und (vorsicht, Sarkasmus) die Nazis wollten uns ja auch nur vor den Kommunisten schützen.
- Wissenschaft wird geleugnet, wenn sie nicht in den Kram passt. Bei Trump ist es z.B. die Klimawissenschaft oder die Medizin, die Nazis hingegen haben zum Beispiel die damals schon widerlegte Welteislehre gefördert, und z.B. die Relativitätstheorie entgegen aller Belege abgelehnt (gut, das scheint allgemein ein Muster bei totalitären Regimen zu sein, die Sowjets zum Beispiel lehnten die Evolutionstheorie aus ideologischen Gründen ab).
- die „verbrannte-Erde-Strategie“, die ich oben erwähnt habe, kann man auch als Nazivergleich werten
- und die Nazis hatten auch ein gewisses Talent dafür, Lügen einfach immer wieder zu behaupten, bis es irgendwann geglaubt wurde (immerhin stammt das Zitat hier nicht von den Nazis, wird ihnen aber oft aus dem Zusammenhang gerissen zugewiesen)
Ok, jetzt habe ich die Diskussion oft genug verloren. Ein Nazivergleich ist eine heftige Sache, und Trump und seine Anhänger sind noch weit davon entfernt, so schlimm zu werden. Aber dass er mit seinen Methoden durchkommt halte ich für extrem beunruhigend.
Verschwörungsmythen
Alles in Allem glaube ich, dass sie der Mythos vom Wahlbetrug noch lange halten wird. Ähnlich wie die Verschwörungsmythen zur Mondlandung. Oder die zu Kennedies Ermordung. Oder zum 11. September 2001. So etwas bleibt hängen. Und damit haben Radikale für Jahrzehnte genug Futter um zu rechtfertigen, was sie tun.