Stranger Than Usual

Nature cannot be fooled

Am 28. Januar 1986 zerbrach die Challenger, eines der Space Shuttles 73 Sekunden nach dem Start. Daraufhin gab es eine große Untersuchung, wie es dazu kommen konnte. Es stellte sich heraus: Warnungen von Ingenieuren über die Kälteempfindlichkeit von Dichtungsringen wurden ignoriert, weil man den Start aus PR-Gründen nicht verschieben wollte.

Der berühmt-berüchtigte Physiker Richard Feynman, der im Untersuchungsausschuss saß, schrieb im Bericht über das Unglück:

For a successful technology, reality must take precedence over public relations, for nature cannot be fooled.

(Wer das Blog hier schon länger liest: Das war auch mal eins meiner ständig wechselnden Zitate auf der Startseite).

Warum erzähle ich das gerade? Weil das gleiche Prinzip auch für den Klimawandel gilt. Wenn wir nicht jetzt etwas gegen den Klimawandel tun, egal wie teuer das wird, dann werden wir das, was wir jetzt einsparen in den kommenden Jahrzehnten um ein Vielfaches extra ausgeben. Da hilft keine PR und kein Kleinreden. Es. Wird. Passieren. Und es kommt mir so vor, als ob große Teile der deutschen Politik das nicht verstanden haben.

Und damit meine ich nicht die AfD, bei der ist sowieso alles verloren. Die leugnen den Klimawandel insgesamt, bei deren Wählern ist der Realitätsabstand in etwa so groß wie bei den Flacherdlern oder den Trump-Anhängern. Ich meine die anderen Parteien, vornehmlich die CDU/CSU und die FDP. Auch die anderen Parteien beckleckern sich hier nicht mit Ruhm, und auch bei den C-Parteien und der FDP gibt es vermutlich vereinzelt Leute, die das Problem ernst nehmen, aber im Großen und Ganzen haben wir ein Problem.

Verkehrswandel

Beim Verkehrswandel zum Beispiel: Wir wollen den Individualverkehr mit Autos verringern, weil der sehr energieineffizient ist. Das, was überbleibt, wollen wir auf Elektromotoren umstellen, weil die energieeffizienter sind und sich mit Strom aus erneuerbaren Quellen laden lassen.

Der erste Teil (Verringerung) muss duch mehrere Aspekte geschehen. Wir müssen die Alternativen zum Autofahren attraktiver machen als das Autofahren. Zwei Hauptalternativen: ÖPNV und Fahrräder. Beim ÖPNV haben wir das Deutschlandticket. Das war ein voller Erfolg. Nur soll das jetzt teurer werden. Damit wird es wieder unattraktiver. Auf der anderen Seite war es so erfolgreich, dass die CDU in Hessen es am liebsten ganz abschaffen wollte und ein paar Bundesländer jetzt den ÖPNV-Fahrplan kürzen wollen. So wird das nichts. Die Leute werden halt wieder auf die Autos umsteigen, außer denen, die es nicht können. Klar kostet es Geld, den ÖPNV zu unterhalten. Aber es ist eine verdammte Investition, damit uns nicht DIE FUCKING WELT ABBRENNT!

Auch bei den Fahrrädern sieht es nicht gut aus. Die Niederlande zeigen, wie man gute und sichere Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur baut. Und ironischerweise macht das auch das Autofahren angenehmer. Win-Win. Das kommt nicht von ungefähr, die haben da Jahrzehnte dran gearbeitet. Und Erfahrungen gesammelt. Wenn wir und bei deren Erfahrungen bedienen, können wir das viel leichter machen (es wird trotzdem lange dauern, deswegen müssen wir jetzt anfangen). Was passiert stattdessen? Jedes Mal, wenn eine Fahrradstraße eingerichtet werden soll, beschweren sich die anliegenden Geschäfte, weil sie Angst haben, das ihnen die Kunden wegfallen. Und hinterher freuen sich die anliegenden Geschäfte, weil sie mehr Kunden haben als vorher. In Berlin wurden Radwegprojekte komplett gestoppt, weil die armen unprivilegierten Autofahrer ja so unter ihnen leiden müssen. Wo ich wohne, wird gerade eine große Kreuzung neu gemacht. Die Radwege? Auch wieder nur aufgemalt, teilweise zwischen den Autospuren. Sicher fühlt man sich als Radfahrer so nicht. Und wenn man sich nicht sicher fühlt, steigt man auch weniger gerne aufs Rad.

Und der Umstieg auf Elektromobilität? 2019 sagte der damalige Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck:

Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern

„Sie“, das war der VW-Chef. Jetzt haben wir 2024, und VW ist am Markt gescheitert. Die Chinesen schaffen es nämlich, günstige Elektroautos anzubieten. VW nicht. Jetzt kaufen die Chinesen keine VWs mehr, und die Deutschen kaufen chinesische Autos. Da hilft es jetzt auch nicht, VW staatslich unter die Arme zu greifen oder einen Zoll auf chinesische Autos zu setzen. Insbesondere letzteres würde für Rachezölle aus China sorgen und die VWs in China noch teurer machen. Auch hier wird an der Realität vorbeigearbeitet.

Und dann die Diskussionen über Wasserstoff und E-Fuel. Mai Thi Nguyen-Kim hat das hier mal gut erklärt: Mit einfacher Schulphysik kann man zeigen, dass Wasserstoff und insbesondere E-Fuel viel energieineffizienter sind. Und wir brauchen den Wasserstoff für andere Sachen, z.B. zur Stahlherstellung. Den in Brennstoffzellen zu verheizen wäre Verschwendung. Auch wenn wir alles auf erneuerbare Energien umgestellt haben, haben wir nur begrenzt davon. Und E-Fuels und Verbrennermotoren werden nicht signifikant effizienter werden. Das ist einfach nicht möglich. Wir haben eine halbwegs effiziente Möglichkeit, mit Strom zu fahren: Batterien und Elektromotor. Der einzige Grund, warum man E-Fuels fördern sollte ist, um den Wählern vorzugaukeln, man könne mit den Autos so weitermachen wie bisher. Das ist es wieder: PR vor Realität.

Realität muss schwerer wiegen als PR

Der Verkehr ist nur ein Beispiel. Wenn man sich in der Klimapolitik umschaut, trifft man überall auf solche PR-vor-Realität-Politik. Das funktioniert vielleicht eine Weile. Aber wenn uns das auf den Fuß fällt, dann richtig. Wie beim Challenger-Unglück: Hätte man den Start noch einmal verschoben, wäre das schlechte PR gewesen. Also hat man ihn nicht verschoben und das Leben der Astronaut_innen verspielt. Hätten wir uns vor 25 Jahren ordentlich um den Klimawandel gekümmert, müssten wir heute nicht so drastische Einschnitte machen. Wenn wir heute nicht die drastischen Einschnitte machen, müssen wir in zehn Jahren um so drastischer eingreifen. Das wäre dann noch schlechtere Publicity, also wird das auch nicht gemacht. Am Ende würden Millionen bis Milliarden Menschen daran sterben (keine Übertreibung). Alles nur, weil wir heute aus PR-Gründen keine realitätsorientierte Politik machen. Die Natur kann man nicht hereinlegen.